Was genau bedeutet Integrität für uns? Warum ist sie elementarer Bestandteil unserer Konzernstrategie „TOGETHER – Strategie 2025“? Und inwiefern helfen uns Glaubwürdigkeit und Transparenz beim Werben um die besten Köpfe von morgen? Ein Essay von Hiltrud Werner, im Volkswagen Konzernvorstand verantwortlich für das Ressort „Integrität und Recht“.

Text: Hiltrud Werner | Illustrationen: Mario Wagner

Wohl noch nie in seiner Geschichte stand der Volkswagen Konzern derart im Fokus öffentlicher Kritik wie seit Beginn der Dieselkrise. Für uns gilt es dabei, zwei Herausforderungen zugleich zu meistern: Wir müssen verlorenes Vertrauen nachhaltig zurückgewinnen. Und gleichzeitig den mit „TOGETHER – Strategie 2025“ eingeläuteten grundlegenden Wandlungsprozess im Konzern entschieden vorantreiben. Für beides spielt das Thema „Integrität“ eine Schlüsselrolle. Doch was genau bedeutet Integrität für uns? Und warum genau ist sie für „TOGETHER – Strategie 2025“ von so grundlegender Bedeutung?

Die Antwort lautet: Weil Integrität alle angeht und alle betrifft. In allen Marken, Regionen und Konzernbereichen. Auf allen Ebenen im Unternehmen. Kolleginnen und Kollegen, aber auch Kundinnen und Kunden weltweit. Vorstandsentscheidungen können für jedes Unternehmen eine große Tragweite entfalten und, wenn sie sich als falsch erweisen, im schlimmsten Fall seinen Fortbestand unmittelbar gefährden. Mittelbar hängt der Erfolg und Fortbestand eines Unternehmens aber auch davon ab, ob seine Mitarbeiter ihrer jeweiligen Überzeugung von „richtig“ und „falsch“ folgen und entsprechend handeln. Und letztlich wird ein Unternehmen nur dann Bestand haben, wenn seine Kunden überzeugt bleiben, dass seine Produkte auch moralisch vertretbar hergestellt sind und übergeordneten Nutzen stiften. Beschränken sich das Unternehmen und die Mitarbeiter darauf, den eigenen Nutzen zu verfolgen, geht dies auf die Dauer zulasten des Kundennutzens – man könnte auch sagen, des Kundenvertrauens.

„Integrität führt dazu, dass die Unternehmenswerte tatsächlich gelebt werden.“

Inner- und außerbetriebliche Kontroll- oder Sanktionssysteme, ein wirksames Compliance-Management-System und verständliche, den Mitarbeitern auch bekannte Richtlinien sind wichtig. Aber unser Selbstverständnis im täglichen Handeln ist noch viel wichtiger. Ob ein Mitarbeiter sein Bestes gibt oder entsprechend seinem Gewissen handelt, weiß am Ende nur er selbst. Integrität ist also viel mehr als ein Begriff. Integrität ist unabhängig von Hierarchieebenen. Integrität führt dazu, dass die Unternehmenswerte tatsächlich gelebt werden, dass wir vertrauensvoll zusammenarbeiten und unsere Manager auf allen Ebenen für ihre Entscheidungen guten Gewissens einstehen können. So wird individuell praktizierte Verantwortung zur gelebten langfristigen Verantwortung für das Unternehmen, für die Kollegen, die Kunden des Unternehmens und die Gesellschaft.

Dabei ist klar, dass Integrität den Unternehmensalltag mitunter auch erschweren kann, verlangt sie doch möglicherweise den Verzicht auf Verdienst- und Gewinnmöglichkeiten, die zwar noch legal, aber nicht mehr legitim sind. Die freiwillige Selbstverpflichtung eines Unternehmens, auf bestimmte Gewinnmöglichkeiten aus ethischen Gründen zu verzichten, ist Ausdruck einer Grundhaltung. Integrität erfordert also Standhaftigkeit. Diese Standhaftigkeit werden die Mitarbeiter aber nur aufbringen, wenn sie den Eindruck haben, dass ihnen daraus kein Nachteil erwächst. Deshalb kommt es entscheidend auf das Auftreten des Vorstands an: Er muss in Wort und vor allem in Tat klarmachen, dass er Integrität wertschätzt, fordert und fördert. Dies muss sich auch in der Personalauswahl und -entwicklung niederschlagen. Nur dann ist wirklich damit zu rechnen, dass Entscheidungen auch auf den mittleren und unteren Ebenen eines Unternehmens im Sinne der Integrität getroffen werden.

Eine Garantie ist dies allerdings nicht. Letztlich gilt auch für Unternehmen das Diktum des Rechtsphilosophen Ernst-Wolfgang Böckenförde, der Mitte der 1960er-Jahre feststellte: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Das lässt sich auf heutige Unternehmen übertragen. Auch sie sind darauf angewiesen, dass ihre Angehörigen sich – um ein zu Unrecht aus der Mode gekommenes Wort zu verwenden – im besten Sinne tugendhaft verhalten. Genau das bedeutet Integrität. Integrität setzt der betriebswirtschaftlichen Rationalität also Grenzen, jedenfalls kurz- und mittelfristig. Deshalb haben wir in der Unternehmensleitung deutlich gemacht, wie zentral uns die Integrität ist, indem wir in unserer Konzernstrategie „TOGETHER – Strategie 2025“ fest verankert haben, dass Volkswagen in puncto Umwelt, Sicherheit und Integrität zu einem Vorbild werden soll.

Dazu gehört, dass unser Konzern Verantwortung im Sinne des Gemeinwohls, sprich soziale Verantwortung, übernimmt. Entscheidend ist hierbei, dass diese Corporate Social Responsibility sich nicht nur in wohlmeinenden, aber oberflächlichen Gesten erschöpft, sondern im Einklang mit der Strategie unseres Unternehmens steht. Nur dann ist CSR nach innen und außen glaubwürdig und wirksam. Dabei sei betont, dass das Engagement für das Gemeinwohl sich durchaus betriebswirtschaftlich positiv auswirken darf. Ich bin der festen Überzeugung, dass soziale und ökonomische Verantwortung keine Gegensätze darstellen, wenn sie zu einem selbstverständlichen Teil der Unternehmenskultur werden. Wenn das soziale Engagement eines Unternehmens dessen Reputation stärkt und die Attraktivität für Kunden, Kapitalgeber und Mitarbeiter erhöht sowie den Weg für neue, zukünftige Geschäftsfelder in einer ökologisch verantwortlichen Gesellschaft ebnet, dann ist dies ein willkommenes Ergebnis, wenn auch nicht der alleinige Zweck des sozialen Engagements.

„Ein junger Mensch, der verantwortlich handeln will, wird seinen Arbeitgeber auch danach auswählen.“

Bisweilen fällt es schwer, bei Entscheidungen für oder gegen ein bestimmtes soziales Projekt zwischen betriebswirtschaftlichen und sozialen Beweggründen zu unterscheiden. Hier können der Blick und der Rat von Außenstehenden helfen. Volkswagen nimmt dies sehr ernst und hat hierzu den mit hochkompetenten Fachleuten aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft besetzten Internationalen Nachhaltigkeitsbeirat bereits wiederholt konsultiert.

Überhaupt kann die Öffnung gegenüber Urteilen aus der Gesellschaft, ob in Gestalt des Nachhaltigkeitsbeirats oder durch die Diskussion mit Politik und Verbänden, ein Unternehmen in allen seinen Teilen zur Integrität anhalten. Wenn ein Unternehmen nach innen und außen darlegen kann, dass es seine Prinzipien transparent anwendet, in konkreten Einzelfällen sogar gegen die kurzfristige betriebswirtschaftliche Logik, so werden seine Bemühungen in den Augen der Öffentlichkeit umso glaubwürdiger sein.

Und: Wenn wir es richtig machen, dann hilft es uns auch, auf den in Zukunft immer stärker umkämpften Märkten für Nachwuchskräfte zu bestehen. Wo junge Talente gefragt sind, sind sie freier darin, sich Unternehmen auch nach nichtwirtschaftlichen Gesichtspunkten auszusuchen. Ein junger Mensch, der ein klares Wertesystem hat und gesellschaftlich verantwortlich handeln will – sich also als integer begreift – wird seinen Arbeitgeber auch danach auswählen, ob dieser ihm integer erscheint und eine hohe Übereinstimmung zwischen den persönlichen und den Werten des Unternehmens gegeben ist. Authentisch gelebte Integrität hilft also, das Personal und den wirtschaftlichen Erfolg von morgen zu sichern. Allgemeiner gesprochen hilft Integrität einem Unternehmen, seine Daseinsberechtigung, sein „Bürgerrecht“ zu bewahren, ohne das es auf Dauer kaum existieren und gewiss nicht gedeihen kann.

Wir sind überzeugt, dass Integrität hilft, die Zukunft eines Unternehmens zu sichern. Die Volkswagen AG hat dies erkannt und richtet ihr Handeln danach aus. Compliance, Kultur, Integrität – sie werden Basis unserer Strategieumsetzung und damit Basis unseres Unternehmenserfolgs.

Hiltrud Werner,
geboren 1966 in Bad Doberan, ist Diplom-Ökonomin. Seit 2011 leitete sie die Revision bei der MAN SE, ab 2016 die Konzernrevision der Volkswagen AG. Seit 1. Februar 2017 ist sie Mitglied des Konzernvorstands für das Ressort „Integrität und Recht“.